Heimkino-Tipp: „Ballerina“ (2025)

Girl on Fire

Als 2014 „John Wick“ erstmals über die Kinoleinwände rannte und dabei unzählige Bösewichte zerpflügte, kicherte ich noch über die lächerliche Prämisse, dass ein Mann aufgrund des Todes seines kleinen Hundes derart Amok läuft. Doch da die Geschichte ohnehin nur als Vorwand für großartig inszenierte Konfrontationen diente, um Genre-Fans zu begeistern, war dieses Manko schnell vergessen. Zumal auch die drei Fortsetzungen die Ernsthaftigkeit und – zumindest teilweise – beeindruckende Gestaltung der Actionsequenzen fortführten. Inhaltlich war da zwar spätestens nach Teil zwo nix mehr zu holen, aber der Erfolg ließ nicht nach und bereitete so die Bühne für einen Serienableger („The Continental“, u.a. mit Mel Gibson) und nun „Ballerina“, eine Art halb-Prequel, das eine weitere Killerin in den Mittelpunkt stellt, die im John-Wick-Universum ihrem blutigen Handwerk nachgeht.

Verkörpert wird diese Ein-Frau-Armee von Ana de Armas, die sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich sowohl im Programmkino- („Blond“, „Eden“) als auch Blockbuster-Bereich („Blade Runner 2049“, „Knives Out“, „James Bond: Keine Zeit zu sterben“) an die Spitze von Hollywood gespielt hat und zu Recht als eines der momentan größten Talente gilt.

Eve (de Armas) wächst nach der Ermordung ihres Vaters unter der Obhut der Verbrecherorganisation ‚Ruska Roma‘ auf, wo sie zu einer Killerin ausgebildet wird. Obwohl es ihr untersagt wird, nutzt sie ihre dort erlernten Fähigkeiten später dafür, die Mörder ihres Papas zu jagen, die scheinbar im Auftrag eines konkurrierenden Syndikats und dessen Boss (Gabriel Byrne) handelten. Dass dieser Alleingang ihrer Chefin (Anjelica Huston) einen ungewollten Bandenkrieg beschert, juckt Eve zunächst wenig – bis ihr selbst ein Kollege auf den Hals gehetzt wird: John Wick (Keanu Reeves).

Glaubt mensch den diversen Berichten zu den Dreharbeiten, war die Geburt von „Ballerina“ keine einfache: Die von Regisseur Len Wiseman („Stirb langsam 4.0“) eingereichte Schnittfassung fand zunächst keinen guten Anklang, sodass Chad Stahelski, Regisseur und Produzent der vorherigen vier „John Wick“-Filme mit Reeves in der Hauptrolle, einen Großteil der Actionszenen noch einmal selbst nachdrehte und der Film schließlich erst ein Jahr später als ursprünglich geplant fertiggestellt wurde.

Das Ergebnis: „Ballerina“ fügt sich qualitativ nahtlos in die etablierte Filmreihe ein, präsentiert eine charismatische Hauptdarstellerin, eine blattdünne Story, eine coole Optik – und viel viel Action. Im Gegensatz zu „John Wick 4“ diesmal auch wieder ideenreicher was die Locations und vor allem die ‚Hilfsmittel‘ angeht, die die miteinander Kämpfenden nutzen. Höhepunkt: ein Duell, bei dem nicht mit Pistolen, Gewehren, Schwertern oder Messern aufeinander losgegangen wird, sondern mit Flammenwerfern! Trotz des Wissens um digitale Hilfsmittel, die in der heutigen Zeit inzwischen Standard sind, ist dieser Kampf unübersehbar hauptsächlich mit Stuntleuten realisiert worden und nichts weniger als spektakulär.

Ohne „Ballerina“ nur darauf reduzieren zu wollen: Wenn es – neben der Umbesetzung des Hauptcharakters von Mann zu Frau – einen Grund gibt, diesen Film zu schauen, dann ist es dieses Finale. Alles drumherum ist „John Wick“ as usual, von hoher Qualität und unterhaltsam, aber inhaltlich substanzlos. Doch genau das ist es, was die Filmreihe zwar schlicht, aber doch so reizvoll macht: Die Konzentration auf (größtenteils) handgemachte Action, tolle Stunts und einem angenehmen ‚old school‘-Gefühl bei den Zuschauern, die mit übertriebenen, wenig glaubhaften Actionproduktionen wie „Fast & Furious“ oder zuletzt „The Gray Man“ nicht viel anfangen können.

Die 4K UHD/Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Bonus gibt es diverse Minidokus zu verschiedenen Aspekten der Produktion, gelöschte Szenen und Trailer. „Ballerina: From the World of John Wick“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 26. September 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Islands“ (2025)

Oh Man(n)

Keine eigenen Kinder, keine fordernde Beziehung, keine Verpflichtungen; dazu ein Job auf der immersonnigen Insel Fuerteventura und hin und wieder ein zwangloser One-Night-Stand – der Tennislehrer Tom (Sam Riley) lebt im Paradies. Auch wenn die Hotelanlage, in der er tätig ist, schon etwas heruntergekommen ist und die ewig gleichen inhaltsleeren Gespräche langweilen, die er mit den Touristen führen muss, die ihn für ein paar Tennisstunden buchen: Tom kann machen, was er will und muss sich um nichts sorgen.

Ein wenig unerwartete Abwechslung kehrt jedoch ein, als ihn die hübsche Anne (Stacy Martin) bittet, ihrem siebenjährigen Sohn (Dylan Torrell) ein paar Trainingseinheiten zu geben. Dessen Vater Dave (Jack Farthing) entpuppt sich schnell als ständig nörgelnder Ehemann ohne Feingefühl, der Toms Lebensstil beneidet. Eines Abends überredet Dave seinen neuen ‚besten Kumpel‛, ihn mit in eine Diskothek zu nehmen, wo er sich sogleich an die weiblichen Gäste ranmacht. Am nächsten Morgen aber ist Dave unauffindbar. Die Polizei sorgt sich zunächst wenig, kommt es doch immer wieder vor, dass betrunkene Touristen nach einer durchzechten Nacht erst einmal verschwunden bleiben, nur um später wieder reumütig zu ihren Familien zurückzukehren. Bei Dave geschieht dies allerdings nicht – und Anne verstrickt sich beim polizeilichen Verhör zunehmend in Widersprüche.

Der 1978 im westfälischen Hagen geborene Regisseur und Drehbuchautor Jan-Ole Gerster hat ein talentiertes Händchen dafür, in seinen meist ruhig gehaltenen Filmen („Oh Boy“, „Lara“) mittels Atmosphäre und Unausgesprochenem einen immensen Sog zu erzeugen, mit dem er sein Publikum zu fesseln vermag. Angesiedelt irgendwo zwischen Familiendrama und Thriller, ist „Islands“ gleichzeitig das Porträt eines einsamen Mannes, der in einer (scheinbar) perfekten Welt durch Interaktion mit einer dysfunktionalen Familie nicht nur aus seiner Lethargie hinaus, sondern ebenso in einen Kriminalfall hineingezogen wird, der ihn sukzessive in Schwierigkeiten bringt.

Mit Anleihen bei Hitchcock und immer wieder angedeuteten falschen Fährten verweigert sich „Islands“ jedoch einer konkreten Genre-Zuordnung und ‚plätschert‘ (im positiven Sinne!) dahin, stets mit der Frage spielend: Hat die mysteriöse Schönheit ihren Gatten ermordet? Oder deuten wir, das Publikum, ebenso wie Tom und die Ermittler nur ihr Verhalten falsch? An einem so schönen Ort kann doch nicht ein so hässliches Verbrechen geschehen!

Denn ja, Gerster und sein Kameramann Juan Sarmiento G. nutzen Fuerteventuras Schönheit maximal aus und lullen ihre Zuschauer damit regelrecht ein. Agieren dann auch noch zwei so ansehnliche und wunderbar nuanciert spielende Darsteller vor der Kamera wie Sam Riley und Stacy Martin, ist es schlicht ein Genuss, dieser alle Sinne verführenden Geschichte zu folgen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Interviews, unkommentierte Aufnahmen vom Dreh und Trailer. „Islands“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 19. September 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Clown in a Cornfield“ (2025)

Blutroter Sirup

Gewöhnlich ist ein Clown im Zirkus anzutreffen, wo er mit Slapstick-Einlagen vor allem junges Publikum zum Lachen bringen soll. Nach den erfolgreichen Horrorfilm-Auftritten von Pennywise („Es“, 1990, 2017, 2019) und Art („Terrifier“, seit 2016) sind die Maskenmänner inzwischen jedoch auch immer häufiger außerhalb ihrer gewohnten Zelt-Umgebung unterwegs und scheinen dabei eine Vorliebe für die blutige Menschenjagd entwickelt zu haben. Nun also in einem Kornfeld.

Dass ein Film mit einer solchen Prämisse, noch dazu mit einem Titel wie diesem, der wenig Raum für Zwischentöne lässt, nicht dazu bestimmt ist, neue Anhänger für ein bereits (scheinbar) totgerittenes Genre zu gewinnen, sollte wenig überraschen. Vielmehr stehen Regisseure von Horrorfilmen, die das ‚Slasher‘-Motiv aufgreifen, vor der Herausforderung, Fans Altes in neuem Gewand unterhaltsam zu präsentieren – und zwar nicht nur in Bezug auf Brutalität.

„Clown in a Cornfield“ von Eli Craig („Tucker & Dale vs Evil“, 2010) gelingt dies zumindest ansatzweise und besser weil temporeicher als zuletzt seinem Namensvetter Eli Roth mit „Thanksgiving“ (2023, Rezi HIER). Craig hält die Exposition seiner Protagonistin Quinn (Katie Douglas) und ihres Umfelds (u.a. Aaron Abrams, Carson MacCormac, Kevin Durand) kurz, etabliert das Setting ausreichend (Neuanfang in Kleinstadt mit traditionsliebenden Einwohnern) und lässt dann den fiesen Clown von der Kette – oder zumindest erweckt er den Anschein. Denn Quinns neue Schulfreunde sind zunächst selbst die Strippenzieher hinter einigen Schreckmomenten, mit denen sie ‚die Neue‘ begrüßen und ihren YouTube-Kanal füllen. Aber wer ist dann der zweite Clown, den Quinn beim Anschauen des gelungenen Videos im Hintergrund stehen sieht?

Es ist nun genau diese Doppeldeutigkeit, aus der „Clown in a Cornfield“ seinen Spaß/seine Spannung zieht: Ist es nur wieder ein Prank oder doch der echte Killer, der da gerade angerannt kommt? Mit diesem Unwissen auch für die ZuschauerInnen schafft es Craig, seinem Film eben jenen neuen Twist zu geben, um aus bekannten Szenen in wahrsten Sinne frisches Blut zu zapfen.

Apropos: Mag es auch blutig hergehen, übertrieben explizit wird es erfreulicherweise nicht. Gleichzeitig macht sich der Film einen Spaß daraus, Generationen-typische Sprache und Macken in schönen kleinen Momenten aufeinander prallen zu lassen, dabei aber keine Seite der Lächerlichkeit preiszugeben. Schön zu sehen, dass es eben auch ohne dümmlich daherredende Dumpfbacken funktioniert, einen zwar nicht anspruchsvollen, aber keinesfalls dämlichen Slasher-Film zu machen.

Die Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in deutscher Synchron- und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind optional vorhanden. Als Extras gibt es Trailer. „Clown in a Cornfield“ ist seit 22. August 2025 auch digital bei Constantin Film im Vertrieb von Highlight/Universal erhältlich. (Packshot + stills: © Constantin Film)

Heimkino-Tipp: „Warfare“ (2025)

No Way Out

Der Brite Alex Garland scheint ein Händchen dafür zu haben, aktuelle Themen stets ein wenig im Voraus erahnen zu können, um dann pünktlich inmitten gesellschaftlicher Diskussionen darüber seine Werke quasi als Argumentationshilfe beisteuern zu können. So geschehen bei „Ex-Machina“ (2014, zum Thema KI), „Men“ (2022, männliches Dominanzdenken) oder zuletzt „Civil War“ (2024) über einen Bürgerkrieg in den USA, ausgelöst von einem Präsidenten, der seine Amtszeit eigenwillig verlängert.

Bei „Warfare“ nun verhält es sich ein wenig anders: Der Film greift ein Ereignis aus dem Jahre 2006 auf, bei dem U.S. Navy SEALS, eine militärische Spezialeinheit der US-Streitkräfte, in einen erbitterten Häuserkampf im Irak verwickelt wurden und nur unter Verlusten teilweise gerettet werden konnten. In Echtzeit erzählt, verweilt die Handlung/Kamera komplett an der Seite der westlichen Soldaten, während ihre Gegner lediglich aus der Entfernung gezeigt werden.

Unabhängig von der Qualität der filmischen Umsetzung bewegen sich solche Werke oftmals auf dem schmalen Grat zwischen Kriegsverherrlichung und dumpfem Patriotismus einerseits und schmerzhafter Abrechnung mit Waffengewalt und Entmenschlichung andererseits. „Warfare“ ist da keine Ausnahme und kann je nach ,Gesinnung’ seines Publikums auf beide Arten gelesen werden: Als Loblied auf Kameradschaft und gegenseitige Unterstützung in lebensgefährlichen Situationen oder als flammender Appell gegen die Überheblichkeit amerikanischer Besatzer, die für ihre Taten bestraft werden. Ganz gleich jedoch, für welche Interpretation mensch sich entscheidet: So nah an der Kriegsrealität waren bisher nur wenige Filme.

Die Truppe um den befehlshabenden Erik (Will Poulter) dringt nachts in ein Wohnhaus zweier irakischer Familien ein und besetzt dieses mit dem Auftrag, Gebäude der Umgebung zu observieren und mögliche Al-Qaida-Kämpfer zu identifizieren. Ihre Anwesenheit bleibt jedoch nicht unbemerkt und schon bald darauf wird das Haus angegriffen. Eine Flucht scheint unmöglich, eine Rettung von Außen ebenso. Während sich die Kämpfe intensivieren, versuchen die Soldaten einen kühlen Kopf zu bewahren – und schlicht zu überleben.

Psychologischer Druck, schmerzhafte Verletzungen, konstanter Gefechtslärm und Schreie, die bis ins Mark gehen: „Warfare“ katapultiert sein Publikum inmitten eines Albtraums. Routinierte Handgriffe der Soldaten geraten aus dem Tritt, die anfängliche Langeweile während der Observierung weicht beständiger Angst, in der nächsten Sekunde zu sterben. Was im Horror- oder Thrillergenre perfekte Zutaten für ein gelungenes Filmerlebnis wären, erweist sich beim quasi-dokumentarischen „Warfare“ als Geschmäckle – denn was hier präsentiert wird, geschieht mit hoher Wahrscheinlichkeit genau in diesem Moment (nicht nur) an den Außengrenzen Europas. Dass der Film zudem die zivile Bevölkerung nur in wenigen Szenen integriert und sich komplett auf das Schicksal der Soldaten fokussiert, hilft ebenso wenig dabei, das klare Anliegen dieses Streifens zu deuten. Denn letztendlich sind die Amerikaner die Besatzer eines fremden Landes, wählen sich gewaltsam ein Mehrfamilienhaus als Operationszentrale aus und nehmen die Gefahr für die irakischen Zivilisten ohne weiteres in Kauf. Dass von deren Besitz und Unterkunft nach 90 Minuten nichts mehr übrig ist, spielt keine Rolle.

Nun halte ich Regisseur Garland für zu intelligent, um lediglich eine Lobhudelei für die Navy SEALS präsentieren zu wollen. Tatsächlich gelingt es durch den begrenzten Handlungsort und das beeindruckende Sounddesign, die Hölle Krieg fühlbar zu machen. Doch wozu? Nichts, was „Warfare“ als Aussage zurücklässt, ist neu. Nichts, was die Kämpfer auf beiden Seiten des Schlachtfelds tun, erweckt Mitgefühl oder Bewunderung. „Das erste Opfer des Krieges ist die Unschuld.“, lautete schon 1986 die Tagline des vierfach mit dem Oscar ausgezeichneten Vietnam-Kriegsfilms „Platoon“. Dem hat auch Garland (und Co-Regisseur Ray Mendoza, auf dessen Erinnerungen der Film basiert) nichts hinzuzufügen. „Das zweite Opfer des Krieges sind die Zivilisten.“, wäre meine Ergänzung. Doch das ist in „Warfare“ nicht von Belang.

So bleibt ein Film zurück, der gleichsam Mutmacher wie Kritiker sein will (oder soll?), technisch herausragend daherkommt und doch keinerlei neue Erkenntnis bringt. Aber das trifft ja auch auf jeden neuen bewaffneten Konflikt zu, den die Bestie Mensch von Zaun bricht.

Die DVD/Blu-ray/4K Ultra HD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es eine kurze Werbe-Featurette und Trailer. „Warfare“ erscheint bei Leonine und ist seit 1. August 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Flow“ (2024)

Das Arche-Noah-Prinzip

Zweifellos gelten vor allem die Produktionen aus dem Hause Pixar als Vorreiter für die Entwicklung von Animationsfilmen. Schaut mensch sich deren Werke in chronologischer Reihenfolge an, sind die technischen Sprünge nach vorn nicht zu übersehen.* So verwundert es kaum, dass diese wunderschön anzusehenden Filme regelmäßig bei den Oscars abräumen, sich aber gleichzeitig die Pixar/Disney-Konkurrenz inzwischen ebenso nicht mehr lumpen lässt und Preise einheimst.

Umso überraschender, was da 2025 bei den Academy Awards bei der Verleihung des Goldjungen für die Kategorie „Bester animierter Film“ geschah: Statt Pixars „Alles steht Kopf 2“ oder dem neuesten Knetabenteuer von „Wallace & Gromit“ hieß es plötzlich „And the winner is … ‚Flow‘!“ Dies ist insofern bemerkenswert, da dies nicht nur den ersten Oscar-Gewinn für Lettland darstellt, sondern „Flow“ ein unabhängig produzierter Animationsfilm ist, der ausschließlich mit einer frei zugänglichen Gratissoftware namens Blender entstand. Dass diese nicht in allen Aspekten so ‚perfekte‘ Bilder wie beispielsweise die der Hollywood-Studios generiert, mag für verwöhnte Genre-Fans anfangs möglicherweise irritierend wirken. Doch passt diese ‚unvollkommene‘ Optik ganz hervorragend zum Inhalt dieses bewegenden Meisterstücks.

Erzählt aus dem Blickwinkel einer Katze, folgt die Geschichte ihrem Weg durch eine Welt, die überflutet wurde und keine Menschen mehr beherbergt. Das Haus, in dem die Samtpfote bisher gelebt hat, fällt nun dem steigenden Wasserpegel zum Opfer, sodass sie fliehen muss – und in einem Segelboot landet, das bis dato nur ein Wasserschwein beherbergt. Auf ihrer Fahrt durch eine Landschaft, in der nur noch einzelne Ruinen von Bauwerken an frühere Zeiten erinnern, stoßen sie auf weitere Tiere, die sich ihnen anschließen: einem Labrador, einem Äffchen und einem Sekretär(-vogel).

Das Besondere an „Flow“: Der Film kommt ganz ohne Dialoge aus und vermenschlicht seine Charaktere nicht. Sie kommunizieren lediglich so, wie es sie es auch in unserer Realität tun: mittels Miauen, Bellen, Quicken und Grunzen und ihrer Körpersprache. Sie agieren zudem nachvollziehbar (weil natürlich) und in einer Art und Weise, die der Mensch ihnen bis heute leider vornehmlich abspricht: Mit einer Seele (Dass Tiere sehr wohl zu bewusstem und überlegtem ‚Handeln‘ fähig sind, beweisen nicht nur unzählige Videos auf diversen Videoplattformen).

Doch Regisseur Gints Zilbalodis hat mehr im Sinn als ein niedliches Filmchen mit süßen Tieren: Er zeigt auf beeindruckende Weise, wie ein Neben- und Miteinander unterschiedlicher Wesen, Arten und ‚Sprachen‘ funktionieren kann und muss, auch wenn es verschiedene Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Charaktere gibt. Diese Botschaft ergänzt die oben erwähnte, nicht immer perfekt aussehende Animation treffend – denn wer ist das schon?

„Flow“ ist gespickt mit etlichen Andeutungen zur heutigen Weltlage (Flüchtlingsbewegung, Klimakrise, Naturzerstörung), enthält biblische Verweise und viel Symbolik, die sicherlich vornehmlich ein erwachsenes Publikum ansprechen. Gleichzeitig ist die dialoglos vermittelte Message von Teamwork, Gemeinschaft und Akzeptanz auch für Kinder leicht zu deuten und macht „Flow“ zu einem überaus sehenswerten Familienfilm.

*Als Beispiel möchte ich hierfür die DVDs „Pixars komplette Kurzfilmsammlung“ empfehlen, von denen es inzwischen drei Teile gibt.

Da es sich um einen Dialog-losen Film handelt, gibt es auf den Blu-ray- und DVD-Editionen keine Sprach- und Untertitelauswahl. Als Extras enthalten die Discs zwei frühere Kurzfilme des Regisseurs und Trailer. „Flow“ erscheint bei MFA+ FilmDistribution e.K. im Vertrieb von AL!VE und ist seit 17. Juli 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © MFA+/Dream Well Studio/Sacrebleu Productions/Take Five)

Heimkino-Tipp: „Eden“ (2024)

The horror, the horror.

Es klingt so romantisch: Der Welt und seinen Menschen entfliehen, hinaus auf eine abgelegene Insel im Warmen, um dort in liebevoller Zweisamkeit bis ans Ende der Tage zu leben. Wirklich zu leben. Diesen Traum erfüllten sich Ende der 1920er-Jahre der Berliner Arzt Adolf Ritter und dessen Lebensgefährtin, die Lehrerin Dore Strauch, als sie sich auf der zum Galápagos-Archipel zählenden und damals noch unbewohnten Insel Florena niederließen. Abseits der Weltwirtschaftskrise, jedweder Zivilisation und den Errungenschaften der modernen Medizin, lebten sie dort als Selbstversorger und ließen den Rest der Welt durch Zeitungsartikel an ihrem scheinbar paradiesischen Leben teilhaben. Die Folge: Neben etlichen (vornehmlich reichen) Touristen zog es auch immer wieder Nachahmer nach Florena, von denen sich aber nur die Familie Wittmer langfristig den alltäglichen Strapazen stellte und mit ansiedelte. Kurz darauf folgte noch eine zweite Gruppe um eine selbst ernannte Baronin – und die fragile Gemeinschaft wurde sukzessive zur Kampfarena.

Der zweifache Oscar-Preisträger Ron Howard („A Beautiful Mind“, „Apollo 13“, „The Da Vinci Code – Sakrileg“) hat sich dieser wahren Geschichte nun angenommen – und hierfür eine bemerkenswerte Besetzung gewinnen können: Jude Law, Vanessa Kirby, Ana de Armas, Daniel Brühl und Sydney Sweeney lieben, streiten, provozieren und bekämpfen sich (in jeweils unterschiedlichen Konstellationen) als die oben genannten fünf Protagonisten. Dass es dabei in allen Aspekten stets sehr körperlich und freizügig zugeht, darauf sollten die FilmgenießerInnen gefasst sein. So führt Law alias Ritter eine ganze Dialogszene im ‚Adamskostüm‘, knutscht und fummelt de Armas alias Baroness Eloise Wehrborn de Wagner-Bosquet mit gleich zwei Kerlen gleichzeitig und wird Kirby alias Strauch ein fauler Zahn mit der Zange gezogen. So ein Inselleben ist eben kein Ponyhof.

Howard inszeniert diese Robinsonade von Anfang an wenig beschönigend und lässt auch anhand seiner Bildsprache (Kamera: Mathias Herndl) keinen Zweifel daran, dass sich hier die Bestie Mensch nicht nur selbst zerfleischt, sondern sich ebenso die Natur egoistisch Untertan macht und zielstrebig auf eine Katastrophe zusteuert. Die (reale) Einbettung in die 1930er-Jahre und die Tatsache, dass es sich um Deutsche handelt(e), geben der Geschichte eine zusätzliche bittere Note, wenn mensch bedenkt, was wenige Jahre später weltpolitisch geschah.

Schauspielerisch gibt es bei den hier versammelten Profis ohnehin nichts zu meckern. Vielmehr freut es mich zu sehen, dass Felix Kammerer, der sich vor kurzem erst in der vierfach Oscar-prämierten Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ auf die Bühnen der Welt spielte, nun bereits in so prominenter Umgebung wieder auf der Leinwand zu sehen ist (und gleich mal mit Ana de Armas rummachen darf, this lucky bastard!).

Mag „Eden“ an manchen Stellen – vor allem zu Beginn – noch etwas gehetzt wirken, so gelingt es Howard mit Leichtigkeit, allen (Haupt-)Figuren im weiteren Verlauf Profil und Gravitas zu verleihen und ihren ambivalenten Rollen in dieser faszinierend-erschütternden (wahren) Geschichte der ‚Galápagos-Affäre‘ gerecht zu werden. Ein finsteres, sehenswertes Filmerlebnis!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Eden“ erscheint bei Leonine und ist seit 18. Juli 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Die 12 Geschworenen“ (1957)

Ansichtssache

Ein Blick auf tagesaktuelle Nachrichten genügt um zu wissen, dass politisch unabhängig getroffene Gerichtsentscheidungen im Jahre 2025 mehr denn je unter Beschuss geraten. Denn wenn sich amerikanische Präsidenten mal eben über gefällte Urteile hinwegsetzen oder deutsche Innenminister diese in Zweifel ziehen, sollte jedem klar sein, dass selbst sicher geglaubte Demokratien in Gefahr sind. Umso wichtiger sind Plädoyers wie „Die 12 Geschworenen“, die differenziert, nachvollziehbar und nicht belehrend, sondern mitreißend davon erzählen, wie wichtig eine vorurteilsfreie Rechtsprechung ist. Und wie glücklich sich Demokratien schätzen können, diese zu besitzen. Sie verbal anzugreifen oder gar zu ignorieren, stellt einen Tabubruch dar, dessen Folgen nur schwer abzuschätzen sind.

Allein die Tatsache, dass „Die 12 Geschworenen“ aus dem Jahr 1957 stammt zeigt, wie zeitlos und wichtig die stetige Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist. Der Debütfilm von Sidney Lumet („Serpico“, „Hundstage“, „Network“) erhielt seinerzeit drei Oscar-Nominierungen, u.a. als ‚Bester Film.‘ Das als Kammerspiel inszenierte Drama dokumentiert, gefühlt in Echtzeit, ein Gespräch von 12 Männern, die sich im Anschluss an einen Mordprozess in ein Hinterzimmer des Gerichts zurückziehen, um über Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu entscheiden. Wird der vermeintliche Mörder schuldig gesprochen, landet er in der Todeszelle. Doch hierfür muss die Entscheidung der Geschworenenjury einstimmig sein – ebenso für einen möglichen Freispruch.

Die Sachlage scheint klar, die vermeintlichen Beweise eindeutig und der Schuldspruch eigentlich nur Formalität. Wäre da nicht der Geschworene #8 (Henry Fonda), der zweifelt. Nicht, weil er den jungen Angeklagten per se für unschuldig hält, sondern weil er die Entscheidung über Tod oder Leben eines Menschen nicht – wie die anderen – im Schnelldurchlauf abhandeln will. „Im Zweifel für den Angeklagten“ ist hier der Schlüsselsatz, der den weiteren Verlauf des Abends prägen soll.

In den folgenden 90 Minuten, in denen keiner der Akteure den engen, heißen und spärlich eingerichteten Raum verlassen darf, entspinnt sich vor den Augen des Publikums ein spannendes Streitgespräch über uneingestandene Vorurteile, zweifelhafte Vermutungen, persönliche Schicksale und (scheinbar) unüberlegte Schlussfolgerungen. Die einzelnen Charaktere spiegeln dabei (fast) die ganze Gesellschaft und ihre Sicht auf die Welt wider, was die Identifikation für die Zuschauer erleichtert. Argumente werden oft sachlich, manchmal emotional ausgetauscht, und wenn es doch einmal respektlos wird, folgt eine Entschuldigung. „Die 12 Geschworenen“ ist somit nicht nur ein interessanter Meinungsaustausch, sondern ebenso ein Musterbeispiel für eine angemessene Diskussionskultur – etwas, was uns heutzutage ebenfalls mehr und mehr verlorenzugehen scheint.

Die herausragende Kameraarbeit von Boris Kaufman ist nicht weniger meisterhaft: Die Enge des Raumes, der Einfall des Lichts oder schlicht die Positionierung der Kamera (aus der Distanz vs. Nahaufnahmen der Gesichter) vermitteln ein sehr konkretes Gefühl der inneren Kämpfe der einzelnen Geschworenen bei deren Urteilsfindung. Dass Regisseur Lumet hier zudem eine sehr naturalistische Darstellung eingefordert hat, kommt dem Film ebenso sehr zugute: Kein Overacting, keine gestelzten Dialoge, keine offensichtliche Unterscheidung zwischen Star (Fonda) und Nebendarstellern (u.a. Lee J. Cobb, Martin Balsam, Jack Klugman) – alle Figuren haben Relevanz und agieren gleichberechtigt.

„Die 12 Geschworenen“ ist, wie eingangs bereits erwähnt, ein zeitloser Film, der sowohl inhaltlich als auch filmisch auch fast 70 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung begeistert und ob seiner Ausgewogenheit erstaunt. Umso schöner, ihn nun mit dieser Neuveröffentlichung in neuem Glanz erleben zu dürfen. Besonderes Schmankerl: Das Mediabook enthält als Zugabe die hierzulande leider kaum bekannte, ebenso prominent besetzte TV-Neuverfilmung von William Friedkin aus dem Jahre 1997.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es Audiokommentare, zwei Featurettes zur Entstehung des Films sowie Trailer. Das Mediabook enthält zudem die Neuverfilmung von 1997 und ein informatives Booklet von Kathrin Horster. „Die 12 Geschworenen“ erscheint bei capelight pictures im Vertrieb von Alive AG und ist seit 12. Juni 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc./capelight pictures)